Beschreibung
Einfühlsamer Roman über das Heranwachsen eines jungen Siedlermädchens in Quebec Die Wiederentdeckung einer großen amerikanischen Klassikerin geht weiter: In 'Schatten auf dem Fels' wendet sich Willa Cather der faszinierenden Wildnis Kanadas zu. Mit berührender Anteilnahme und literarischem Feingefühl erzählt sie von einer französischen Einwandererfamilie, die auf dem 'Grauen Fels' erst heimisch werden muss.Gegen Ende des 17. Jahrhunderts beginnt die Pariser Familie Auclair in Kanada ein neues Leben. Als ihre Mutter stirbt, wird die zehnjährige Cécile mit der Führung des Haushalts betraut. Allmählich lernen Vater und Tochter sich mit den langen Wintern zu arrangieren. Sie unterhalten eine kleine Apotheke, und bei der Arbeit zwischen Pulvern und Pasten hören sie die aufregendsten Geschichten von der Jagd in den Wäldern und dem Tauschhandel mit den Indianern. Doch ist Quebec wirklich die richtige Umgebung für ein heranwachsendes Mädchen wie Cécile? Immer öfter denkt Monsieur Auclair daran, nach Frankreich zurückzukehren .Willa Cather wendet sich in diesem Roman einem der ergiebigsten Stoffe der amerikanischen Literatur zu: der Begegnung von Alter und Neuer Welt.
Autorenportrait
Als Achtjährige übersiedelte Willa Cather (1873-1947) mit ihren Eltern von Virginia nach Nebraska, wo sie mit der unermesslichen Prärie, aber auch mit den dortigen Einwanderern aus der Alten Welt Bekanntschaft schloss. Diese Erfahrungen eines Neben- und Miteinander verschiedener Ethnien, Religionen und Kulturen prägten sie tief. Obwohl sie als Lehrerin, Redakteurin und später als erfolgreiche Schriftstellerin vor allem in New York lebte, spielen ihre Werke meist in der heroischen Weite der Prärie des amerikanischen Westens und Südwestens, der sie so ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Willa Cather erhielt den Pulitzer-Preis und gilt als eine der großen amerikanischen Erzählerinnen.
Leseprobe
An einem Nachmittag gegen Ende Oktober des Jahres 1697 stand Euclide Auclair, der Apotheker und Philosoph von Quebec, oben auf dem Kap Diamant und blickte auf den breiten, leeren Strom tief unter ihm. Leer schien er deshalb, weil vor einer Stunde hinter der grünen Insel, die den Sankt-Lorenz-Strom in zwei Arme teilte, entschwindende Segel noch einmal aufgeleuchtet hatten und damit das letzte der Sommerschiffe aus Frankreich die lange Heimfahrt antrat. Solange die "Bonne Esperance" noch in Sicht war, hatten viele von Auclairs Freunden und Nachbarn ihm auf der Hügelkuppe Gesellschaft geleistet; doch als der letzte weiße Zipfel um die Uferbiegung geglitten war, kehrten sie in ihre Läden oder in ihre Küchen zurück und wandten sich wieder den unerbittlichen Forderungen des Alltags zu. Acht Monate lang würde die französische Kolonie auf diesem Fels im Norden nun gänzlich von Europa und der Welt abgeschnitten sein. Jetzt war es Oktober, kein Segler würde vor Juli nächsten Jahres die breite Wasserstraße heraufkommen. Keine Vorräte, kein Wein und kein Fass Mehl, weder Schießpulver noch Leder oder Tuch oder Eisenwaren. Nicht ein einziger Brief - keine Nachrichten über das, was zu Hause vor sich ging. Es mochten neue Kriege, Überschwemmungen, Feuersbrünste und Seuchen wüten, doch die Siedler würden nicht eher davon hören als im nächsten Sommer. Manchmal sagten die Leute, wenn König Louis sterben sollte, würde der Minister die Nachricht durch englische Schiffe, die während des ganzen Winters New York anlaufen konnten, herüberschicken, und die holländischen Händler in Fort Orange würden dann Kuriere nach Montreal senden. Der Apotheker blieb noch lange, nachdem seine Mitbürger an ihre Arbeit zurückgekehrt waren, auf der Felskuppe; ihm fiel diese Trennung von der übrigen Welt von Jahr zu Jahr schwerer. Es war gewiss seltsam, dass ein Mann von seiner sanften und nachdenklichen Art, der in der Stadt aufgewachsen und in seinen Gewohnheiten so traditionsgebunden war, hier auf dem grauen Felsen in der kanadischen Wildnis stand. Kap Diamant war der höchste Grat der befestigten Klippe, die "Kebec" genannt wurde - eine dreieckige Landzunge, die sich keilartig zwischen die Vereinigung zweier Flüsse schob und von dem größeren wie in einer Umarmung gehalten wurde. Unmittelbar unter ihm lag die französische Festung - verstreute Turmspitzen und Schieferdächer, die in der prächtigen Herbstsonne aufblinkten; die kleine Hauptstadt, die damals in Europa Gegenstand so manchen Gesprächs und so manchen phantastischen Traumes war. Auclair fand, diese auf dem Felsen thronende Stadt glich ganz und gar den künstlichen kleinen Bergen, die man in den Kirchen als Schauplatz für die Geburt Christi aufbaute; Berge aus Pappe voller Klippen und Felsenriffe und Höhen, um all die Figuren auf dem Weg zur Krippe zu beherbergen; Engel und Hirten und Reiter und Kamele klommen Anhöhen hinauf oder bargen sich in Grotten oder wimmelten unten am Fuße des Hügels. Beraubte man diese Vorstellung ihrer orientalischen Buntheit, so konnte man auch hier einen solchen Bergfelsen vor sich sehen, der geschickt mit Kirchen, Klöstern, Befestigungen und Gärten bebaut war, die sich den natürlichen Unebenheiten des Vorgebirges anpassten, auf dem sie standen; manches oben, anderes unten, einiges ragte von einem Vorsprung auf, anderes schmiegte sich in Mulden und wieder anderes kletterte hier und dort über einen Abhang. Das Chateau Saint-Louis aus grauem Stein mit steilen Mansardendächern lag am allerobersten Rand der Klippe und blickte über den Strom; jedoch Kirche und Kloster der Rekollektenbrüder dicht daneben sanken dagegen abwärts, als wollten sie hinunterpurzeln. Zur Landseite hin lag an einem tiefen, gutgeschützten Fleckchen der Konvent der Ursulinen. Noch tiefer, der Kathedrale gegenüber, erhob sich das wuchtige Stift der Jesuiten. Unmittelbar hinter der Kathedrale schoss die Klippe wieder steil empor und bildete einen vorspringenden Felssporn; dort, zwischen Himmel und Erde, ragt Leseprobe