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Die Brautprinzessin

eBook - S. Morgensterns klassische Erzählung von wahrer Liebe und edlen Abenteuern. Die Ausgabe der 'spannenden Teile'.

Erschienen am 15.07.2011, 1. Auflage 2011
Auch erhältlich als:
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608102338
Sprache: Deutsch
Umfang: 432 S., 9.45 MB
E-Book
Format: EPUB
DRM: Digitales Wasserzeichen

Beschreibung

»Die Brautprinzessin« ist ein raffiniertes Abenteuer und eine atemlose, clevere Romanze. Traurig und hinterlistig, verspielt, blutig und zeitlos. Wahnsinnig. Und wunderschön.»Ich bin dein Prinz und du musst mich heiraten«,sagte Humperdinck.»Ich bin Eure Dienerin und lehne ab«,flüsterte Butterblume.»Ich bin der Prinz, und du kannst nicht ablehnen.«»Ich bin Eure sehr ergebene Dienerin, und ich habe ebenabgelehnt.«»Weigerung bedeutet Tod.«»Dann tötet mich.«Bis Herbst 2008 wurde das Buch seit dem ersten Erscheinen bereits 100.000 mal verkauft.

Autorenportrait

William Goldman (1931-2018) lebte in New York und schrieb ein Dutzend Romane, darunter die Vorlage zu »Der Marathon-Mann« und mehrere Kinderbücher. Aus seiner Feder stammen die Drehbücher zu »Misery«, »Chaplin« und »Dreamcatcher«. Für »Butch Cassidy und Sundance Kid« und »Die Unbestechlichen« wurde er mit einem Oscar ausgezeichnet. Er gilt als einer der berühmtesten Drehbuchautoren seiner Generation.Wolfgang Krege (1939-2005) wurde in Berlin geboren, wuchs dort auf und studierte später an der Freien Universität Philosophie. Er war Lexikonredakteur, Werbetexter und Verlagslektor. Ab 1970 war er auch als Übersetzer tätig (Anthony Burgess, Annie Proulx, Amélie Nothomb und viele andere). Große Bekanntheit erlangte er vor allem durch seine Übersetzungen der Texte von J.R.R. Tolkien (»Das Silmarillion «, »Der Hobbit«), besonders durch die Neuübersetzung des »Herrn der Ringe«.

Leseprobe

[...] Jedenfalls, als er mit dem Buch kam, sagte ich: »Äh, was? Hab nicht verstanden.« Ich war ganz schlapp und müde. »Erstes Kapitel. Die Braut.« Er hielt das Buch hoch. »Ich lese es dir vor. Zur Aufheiterung.« Er rieb mir das Buch fast unter die Nase. »Von S. Morgenstern. Großer florinesischer Schriftsteller. Die Brautprinzessin. Er ist auch nach Amerika gekommen. S. Morgenstern. Ist jetzt gestorben, in New York. Das Englische ist von ihm. Er konnte acht Sprachen.« Hier legte er das Buch hin und streckte alle Finger aus. »Acht. Einmal, in Florin, war ich in seinem Café.« Nun schüttelte er den Kopf; so machte er es immer, mein Vater, wenn er etwas falsch gesagt hatte, er schüttelte dann den Kopf. »Nicht in seinem Café. Er war drin, ich auch, zur gleichen Zeit. Ich sah ihn. S. Morgenstern. So einen Kopf, so groß«, und er zeigte mit seinen Händen, was für ein dicker Ballon es war. »Großer Mann in Florin, nicht so sehr in Amerika.« »Kommt auch Sport drin vor?« »Fechten. Ringkämpfe. Folter. Gift. Wahre Liebe. Hass. Rache. Riesen. Jäger. Böse Menschen. Gute Menschen. Bildschöne Damen. Schlangen. Spinnen. Wilde Tiere jeder Art und in mannigfaltigster Beschreibung. Schmerzen. Tod. Tapfere Männer. Feige Männer. Bärenstarke Männer. Verfolgungsjagden. Entkommen. Lügen. Wahrheiten. Leidenschaften. Wunder.« »Klingt gut«, sagte ich und machte ein bisschen die Augen zu. »Ich will sehen, dass ich wach bleibe ... aber ich bin furchtbar schläfrig, Papa ...« Wer kann es wissen, wenn seine Welt sich ändern soll? Wer kann es sagen, bevor es geschehen ist, dass alles, was er zuvor erlebt hat, all die Jahre, nur eine Vorbereitung war auf ... nichts. Stellen Sie sich nun dies vor: Ein alter Mann, fast ein Analphabet, im Kampf mit einer feindlichen Sprache, ein kleiner Junge, fast ganz erschöpft, im Kampf mit dem Schlaf. Und zwischen ihnen nichts als die Worte eines anderen Ausländers, mühsam aus heimischen in fremde Laute übersetzt. Wer hätte ahnen können, dass am nächsten Morgen ein anderes Kind aufwachte? Was mich angeht, so erinnere ich mich nur noch, wie ich gegen die Müdigkeit ankämpfte. Eine Woche später war mir immer noch nicht klar, was an jenem Abend begonnen hatte, welche Türen hinter mir zugefallen und welche aufgegangen waren. Vielleicht müsste ich es wenigstens schon ein bisschen gewusst haben, vielleicht auch nicht; wer kann schon die Offenbarung aus dem Wind lesen? Es geschah einfach dies: Ich wurde süchtig nach der Geschichte. Zum ersten Mal in meinem Leben interessierte ich mich wirklich für ein Buch. Ich, der Sportfan, der einzige Zehnjährige in ganz Illinois, der einen Hass auf das Alphabet hatte, ich wollte wissen, wie es weiterging. Was wurde aus der schönen Butterblume und aus dem armen Westley und aus Inigo, dem größten Fechter der Weltgeschichte? Und wie stark war Fezzik wirklich, und wie weit ging die Grausamkeit Vizzinis, des teuflischen Sizilianers? Jeden Abend las mein Vater mir vor, Kapitel für Kapitel, immer heftig bemüht, die Wörter richtig auszusprechen, den Sinn festzunageln. Und ich lag da, die Augen halb geschlossen, und mein Körper begann langsam wieder Kräfte zu sammeln. Es dauerte, wie schon gesagt, wohl einen Monat, und in dieser Zeit las er mir die Brautprinzessin zweimal vor. Auch als ich schon selber lesen konnte, blieb dieses Buch immer das seine. Ich hätte nie daran gedacht, es aufzuschlagen. Ich wollte es mit seiner Stimme und seiner Aussprache. Später, Jahre später noch sagte ich manchmal, »Wie wär's mit dem Duell auf den Klippen, Inigo und der Schwarze«, und mein Vater brummte und brubbelte etwas und holte das Buch, leckte sich den Daumen und blätterte, bis der große Kampf begann. Ich liebte das. Auch heute noch, wenn ich an meinen Vater denke, stelle ich ihn mir so vor. Vorgebeugt und blinzelnd und über einzelne Wörter stolpernd, gab er mir Morgensterns Meisterwerk, so gut er konnte. Die Brautprinzessin gehörte meinem Vater. Alles andere gehörte mir. Keine Abenteuergeschichte war vor mir sicher. »Ach, Stevenson «, sagte ich einmal zu Miss Roginski, als ich wieder gesund war, »immer sagen Sie Stevenson, den bin ich durch, wer kommt jetzt?«, und sie sagte, »na dann versuch's mal mit Scott, ob der dir gefällt«, und also nahm ich den alten Sir Walter vor, und er gefi el immerhin so gut, dass ich im Dezember ein halbes Dutzend Bücher von ihm durchschmökerte (größtenteils in den Weihnachtsferien, als es nichts gab, weshalb ich die Lektüre hätte unterbrechen müssen, nur ab und zu ein bisschen zu essen). »Und wer jetzt?« »Vielleicht Cooper«, sagte sie dann, und ich machte mich über den Wildtöter her und über die ganzen Lederstrumpf-Sachen, und dann, eines Tages, stieß ich, der eignen Nase folgend, auf Dumas und d'Artagnan, und diese Burschen brachten mich über den größten Teil des Februars. »Du bist ja unter meinen Augen eine Leseratte geworden«, sagte Miss Roginski. »Ist dir klar, dass du jetzt mehr Zeit mit Lesen verbringst als früher mit Spielen? Weißt du, dass deine Noten im Rechnen immer schlechter werden?« Ich machte mir nichts daraus, wenn sie mir zusetzte. Wir waren allein im Schulzimmer, und ich wollte von ihr, dass sie mir wieder jemand Gutes zum Verschlingen nannte. Sie schüttelte den Kopf. »Jetzt blühst du aber wirklich auf, Billy, unter meinen Augen. Ich weiß bloß nicht, was daraus wird.« Ich weiß, ich erwarte nicht, dass dies jemandes Leben so ändert, wie es mein Leben geändert hat. Aber die Worte im Titel, »wahre Liebe und edle Abenteuer« - daran habe ich einmal geglaubt. Ich dachte, mein Leben würde in jenen Bahnen verlaufen, ich betete darum. Natürlich kam es nicht so, aber ich glaube auch nicht, dass es irgendwo noch das edle Abenteuer gibt. Niemand holt heutzutage ein Schwert hervor und schreit: »Tag, mein Name ist Inigo Montoya. Du hast meinen Vater getötet, mach dich gefasst zu sterben!« Und die wahre Liebe können wir auch vergessen. Ich weiß nicht, ob ich noch irgendetwas richtig liebe außer dem Porterhouse-Steak bei Peter Lueger und der Käse-Enchilada im El Parador. (Entschuldigung, Helen.) Hier jedenfalls ist die Ausgabe der »spannenden Teile«. S. Morgenstern hat sie geschrieben, und mein Vater hat sie mir vorgelesen. Und nun überreiche ich sie Ihnen. Was Sie damit anfangen, wird für uns alle von mehr als flüchtigem Interesse sein. New York City Dezember 1972 In dem Jahr, als Butterblume geboren wurde, war die schönste Frau der Welt ein französisches Küchenmädchen namens Annette. Annette arbeitete in Paris für den Herzog und die Herzogin von Guiche, und es entging der Aufmerksamkeit des Herzogs nicht, dass jemand Außergewöhnliches ihnen die Zinnteller putzte. Die Aufmerksamkeit des Herzogs wiederum entging nicht der Aufmerksamkeit der Herzogin, die weder sehr schön noch sehr reich, aber enorm gescheit war. Die Herzogin machte sich daran, Annette zu studieren, und schnell fand sie die tragische Schwäche ihrer Gegnerin heraus. Schokolade. So gerüstet, ging die Herzogin ans Werk. Das Palais de Guiche verwandelte sich in ein Süßwarenparadies. Wohin man auch sah, gab es Bonbons. In den Salons lagen haufenweise Pralinen, in den Vorzimmern standen Körbe mit schokoladeüberzogenem Nougat. Annette hatte überhaupt keine Chance. Binnen einer Saison schwoll ihre zarte Figur gewaltig an, und der Herzog konnte nie mehr in ihre Richtung blicken, ohne dass eine traurige Verwirrung ihm die Augen umwölkte. (Annette, so wäre anzumerken, wurde nur umso vergnügter, je mehr sie sich ausdehnte. Sie heiratete schließlich den Chefkonditor, und beide aßen sie noch viele gute Dinge, bis das Alter sie abberief. Nicht so vergnüglich, wie ebenfalls anzumerken wäre, erging es der Herzogin. Aus unerforschlichen Gründen entbrannte der Herzog nunmehr für seine Schwiegermutter, womit er der Herzogin Magengeschwüre bereitete, nur dass man damals noch keine Magengeschwüre hatte. Genauer gesagt, Magengeschwüre existierten, und die Leute hatten welche, aber sie hießen nicht »Magengeschwüre«. Die medizinische Wissenschaft jener Zeit nannte sie »Bauchschmerzen« und befand, die beste Kur sei Kaffee mit einem Schuss Kognak, zweimal täglich, bis die Schmerzen nachließen. Die Herzogin nahm ihre Medizin gewissenhaft ein und sah all die Jahre hindurch zu, wie ihr Gatte und ihre Mutter sich hinter ihrem Rücken Kusshände zuwarfen. Es überrascht nicht, dass die Übellaunigkeit der Herzogin legendär wurde, wie Voltaire so glänzend berichtet hat. Nur war dies vor Voltaire.) In dem Jahr, als Butterblume zehn wurde, war die schönste Frau die Tochter eines erfolgreichen Teegroßhändlers in Bengalen. Der Name dieses Mädchens war Aluthra, und ihre Haut war von einer dunkel schimmernden Vollkommenheit, wie man sie in Indien seit achtzig Jahren nicht gesehen hatte. (In ganz Indien gab es nur elf Fälle von vollkommener Hauttönung seit Beginn zuverlässiger Aufzeichnungen.) Aluthra war neunzehn in dem Jahr, als in Bengalen die Pockenseuche ausbrach. Das Mädchen überstand sie, ihre Haut nicht. Als Butterblume fünfzehn war, galt Adela Terrell aus Sussex an der Themse unumstritten als das schönste Geschöpf. Adela war zwanzig, und sie ließ alle Welt so weit hinter sich, dass es gewiss schien, sie würde noch über viele, viele Jahre hin die Schönste sein. Aber dann, eines Tages, rief einer ihrer Verehrer aus (sie hatte deren 104), ohne jeden Zweifel sei Adela das erhabenste Exemplar der weiblichen Gattung. Geschmeichelt begann Adela über die Wahrheit dieses Urteils nachzusinnen. In jener Nacht, als sie allein in ihrem Zimmer war, untersuchte sie sich Pore für Pore vor dem Spiegel. (Spiegel gab es schon.) Die Inspektion dauerte fast bis in die Morgendämmerung, dann aber war ihr klar, dass der junge Mann sie völlig richtig eingeschätzt hatte: Sie war vollkommen, ohne dass sie selbst etwas dafür konnte. Als sie durch die Rosengärten ihrer Familie schlenderte und zusah, wie die Sonne aufging, fühlte sie sich glücklicher als je zuvor. »Ich bin nicht nur vollkommen«, sagte sie sich, »ich bin wohl auch das erste vollkommene Geschöpf in der ganzen langen Geschichte des Universums. Kein Teil an mir ließe sich verbessern, was hab ich für ein Glück, dass ich vollkommen bin und reich und begehrt und gefühlvoll und jung und ...« Jung? Nebel erhoben sich um Adela, als sie nachzudenken begann. Gefühlvoll werde ich natürlich immer sein, dachte sie, und reich auch immer, aber ich weiß nicht recht, wie ich es machen soll, dass ich immer jung bleibe. Und wenn ich nicht mehr jung bin, wie soll ich da vollkommen bleiben? Und wenn ich nicht vollkommen bin, was ist dann? Was dann? Adela furchte die Stirn in verzweifeltem Nachdenken. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass ihre Stirn sich hatte furchen müssen, und Adela stöhnte, als ihr klar wurde, was passiert war, erschrocken über den möglicherweise dauernden Schaden, den sie sich zugefügt hatte. Sie eilte zurück zu ihrem Spiegel, wo sie den Morgen verbrachte, und obwohl es ihr gelang, sich davon zu überzeugen, dass sie immer noch so vollkommen war wie zuvor, war sie ohne Zweifel nicht mehr ganz so glücklich wie noch eben. Sie hatte angefangen sich zu sorgen. Binnen vierzehn Tagen tauchten die ersten harten Linien auf, nach einem Monat die ersten Fältchen, und ehe das Jahr um war, hatte sie jede Menge Falten. Bald darauf heiratete sie ebenjenen Mann, der sie der Erhabenheit bezichtigt hatte, und machte ihm viele schöne Jahre lang die Hölle heiß. Butterblume wusste natürlich mit fünfzehn von all dem nichts. Und hätte sie davon gewusst, sie hätte es völlig unbegreiflich gefunden. Wie konnte eine sich darum kümmern, ob sie nun die schönste Frau der Welt war oder nicht? Was machte es für einen Unterschied, wenn man bloß die drittschönste war? Oder die sechste? Butterblume rangierte zu dieser Zeit noch nicht entfernt so hoch, kaum unter den ersten zwanzig, und das auch nur wegen ihrer Anlagen und gewiss nicht, weil sie sich besonders gepfl egt hätte. Sie wusch sich sehr ungern das Gesicht und schon gar nicht die Gegend hinter den Ohren, sie hielt nichts davon, sich zu kämmen, und tat es so selten wie möglich. Was sie gern tat, vor allem anderen, war, auf ihrem Pferd zu reiten und den Stalljungen zu drangsalieren. Butterblumes Pferd hieß »Pferd« (mit ihrer Phantasie war es nicht weit her); es kam, wenn sie es rief, ging, wohin sie es lenkte, und tat, was sie ihm befahl. Auch der Stalljunge tat, was sie ihm befahl. Er war nun eigentlich schon eher ein junger Mann, aber er war ein Waisenkind und als Stalljunge zu ihrem Vater gekommen, und Butterblume redete ihn immer noch so an. »Stalljunge, hol mir dies, bring mir das, und mach ein bisschen schnell, du faules Stück, oder ich sag's meinem Vater.« »Wie du wünschst.« Das war alles, was er je zur Antwort gab. »Wie du wünschst.« Er hauste in einem Schuppen, nahe bei den Tieren, und nach Aussage von Butterblumes Mutter hielt er den Schuppen sauber. Er las sogar manchmal, wenn er eine Kerze hatte. »Ich werde dem Jungen in meinem Testament einen Morgen Land vermachen«, pflegte Butterblumes Vater zu sagen. (Morgen kannte man schon.) »Du verwöhnst ihn noch«, antwortete Butterblumes Mutter dann immer. »Er hat viele Jahre geschuftet; harte Arbeit muss belohnt werden. « Dann, statt den Zank fortzusetzen (Zank gab es auch schon), nahmen beide ihre Tochter aufs Korn: »Du hast wieder nicht gebadet«, sagte ihr Vater. »Doch, hab ich«, sagte Butterblume. »Aber nicht mit Wasser«, fuhr er fort. »Du stinkst wie ein Hengst.« »Ich bin den ganzen Tag geritten«, erklärte Butterblume. »Du musst baden, Butterblume«, mischte sich ihre Mutter ein. »Die Burschen mögen das nicht, wenn ihre Mädchen nach Stall riechen.« »Die Burschen!« Butterblume platzte fast. »Was gehn mich ?die Burschen? an? Pferd mag mich, und das reicht mir völlig, danke.« Diese Rede hielt sie laut, und sie hielt sie noch oft. Aber ob es ihr passte oder nicht, es gab allmählich Geschichten. Kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag fi el ihr auf, dass es schon über einen Monat her war, seit sie zuletzt mit einem Mädchen aus dem Dorf gesprochen hatte. Sie war nie sehr mit Mädchen befreundet gewesen, die Veränderung war daher nicht krass, aber zumindest hatte man sich früher doch zugenickt, wenn sie durch das Dorf oder die Karrenwege entlang ritt. Jetzt aber, ohne Grund, gab es das nicht mehr. Wenn sie näher kam, blickte man rasch fort, das war alles. Eines Morgens, beim Schmied, stellte Butterblume Cornelia zur Rede, was das Schweigen zu bedeuten habe. »Ich möchte meinen, nach dem, was du getan hast, könntest du die Freundlichkeit haben, nicht noch so scheinheilig zu fragen«, sagte Cornelia. »Und was hab ich getan? « »Was? Was? ... Du hast sie gestohlen.« Damit suchte Cornelia das Weite, aber But terblume hatte begriffen; es war ihr klar, wer »sie« waren. Die Dorfburschen. Diese Hohlschädel, Wasserköpfe, Pickelglatzen, Rotzhirne von Burschen! Wie konnte jemand ihr vorwerfen, die zu stehlen? Wieso sollte irgendwer die denn haben wollen? Wozu taugten die denn? Die taten nichts als einen ärgern, stören, anöden. »Kann ich dir dein Pferd striegeln, Butterblume?« »Danke, der Stalljunge macht das schon.« »Reiten wir zusammen, Butterblume?« »Danke, ich reite lieber allein.« »Du denkst wohl, du bist zu gut für alle andern, was, Butterblume?« »Nein, denk ich nicht, ich reite bloß gern allein, das ist alles.« Aber im Laufe ihres sechzehnten Lebensjahrs verlor sich selbst diese Art von Gesprächen in verlegenem Gestotter und Erröten, bestenfalls noch in Fragen nach dem Wetter. »Meinst du, es wird Regen geben, Butterblume?« »Ich glaube nicht, der Himmel ist blau.« »Na, es könnte aber doch regnen?« »Ja, möglich.« »Du denkst wohl, du bist zu gut für alle andern, was, Butterblume?« »Nein, ich glaube bloß nicht, dass es Regen gibt, das ist alles.« Abends kamen sie nicht selten in der Dunkelheit unter ihrem Fenster zusammen und machten sich über sie lustig. Sie ignorierte das. Gewöhnlich wurden aus den Späßen bald Beschimpfungen. Wenn es zu schlimm wurde, sorgte der Stalljunge für Ordnung, indem er stillschweigend aus seinem Schuppen hervorkam, ein paar von ihnen verdrosch und den übrigen Beine machte. Sie versäumte nie, ihm dafür zu danken. »Wie du wünschst«, war alles, was er zur Antwort gab. Als sie fast siebzehn war, kam ein Mann in einer Kutsche in den Ort gefahren und beobachtete sie, wie sie zum Einkaufen ausritt. Als sie zurückkam, war er immer noch da und glotzte. Sie kümmerte sich nicht um ihn. Für sich allein genommen, war er ja auch nicht wichtig. Aber er bezeichnete einen Wendepunkt. Männer machten Umwege, um sie zu Gesicht zu bekommen, und manche fuhren deshalb sogar zwanzig Meilen weit, wie dieser. Der springende Punkt ist, dies war der erste Reiche, der erste Adlige, der sich die Mühe gemacht hatte. Und dieser Mann, dessen Namen uns die Geschichte nicht überliefert hat, erwähnte Butterblume gegenüber dem Grafen. Das Königreich Florin lag zwischen den Gegenden, wo später Schweden und Deutschland feste Grenzen annahmen. (Dies alles war noch vor Europa.) Theoretisch wurde es von König Lotharon und seiner zweiten Frau, der Königin, regiert. Faktisch aber war der König nicht mehr ganz da; er konnte kaum noch Tag und Nacht unterscheiden und murmelte die meiste Zeit über Unverständliches vor sich hin. Er war sehr alt, jedes Organ seines Körpers hatte ihn schon lange im Stich gelassen, und seine Regierungsentscheidungen waren von einer gewissen Beliebigkeit, die vielen tonangebenden Bürgern bedenklich erschien. In Wirklichkeit lief alles über Prinz Humperdinck. Wenn es Europa schon gegeben hätte, wäre er der mächtigste Mann darin gewesen. Aber auch so gab es weit und breit niemanden, der sich mit ihm hätte anlegen mögen. Es war in der Morgendämmerung, als die zwei Reiter auf dem Hügel haltmachten. Graf Rugen ritt einen prächtigen Rappen, groß, fehlerlos und stark. Der Prinz ritt einen seiner Schimmel, und daneben sah Rugens Pferd aus wie ein Ackergaul. »Sie fährt morgens die Milch aus«, sagte Graf Rugen. »Und sie ist ganz bestimmt und ohne allen Zweifel und jenseits jeden denkbaren Irrtums schön?« »Sie war ein bisschen dreckig, als ich sie sah«, gab der Graf zu. »Aber die Anlagen waren überwältigend.« »Ein Milchmädchen.« Der Prinz stieß die Worte abfällig hervor. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so eine heiraten könnte, nicht mal unter den günstigsten Umständen. Die Leute würden ja kichern: Das sei das Beste, wozu es bei mir gereicht habe.« »Stimmt«, gab der Graf zu. »Wenn du willst, reiten wir wieder in die Stadt zurück, ohne zu warten.« »Nun sind wir schon einmal da«, sagte der Prinz, »da können wir ebenso gut wart - « Ihm blieb einfach die Stimme weg. »Die nehm ich«, brachte er dann hervor, als Butterblume langsam unter ihnen vorbeiritt. »Ich glaube, niemand wird kichern«, sagte der Graf. »Ich muss jetzt um sie werben«, sagte der Prinz. »Lass uns mal für eine Minute allein.« Und er ritt seinen Schimmel gekonnt den Hügel hinunter. Butterblume hatte noch nie ein so riesiges Tier gesehen. Und auch noch nie so einen Reiter. »Ich bin dein Prinz, und du musst mich heiraten«, sagte Humperdinck. »Ich bin Eure Dienerin und lehne ab«, flüsterte Butterblume. »Ich bin der Prinz, und du kannst nicht ablehnen.« »Ich bin Eure sehr ergebene Dienerin, und ich habe eben abgelehnt.« »Weigerung bedeutet Tod.« »Dann tötet mich.« »Ich bin der Prinz und so übel doch auch wieder nicht - wieso willst du lieber tot sein als mit mir verheiratet?« »Weil«, sagte Butterblume, »zum Heiraten Liebe mit dazugehört, und das ist kein Zeitvertreib, auf den ich mich verstehe. Ich habe es einmal versucht, und es ging schlecht aus, und nun habe ich geschworen, nie mehr einen anderen zu lieben.« »Liebe«, sagte Prinz Humperdinck, »wer redet denn von Liebe? Ich nicht, da kannst du beruhigt sein. Hör zu: Für den Thron von Florin muss immer ein männlicher Erbe da sein. Das bin jetzt ich. Wenn mein Vater einmal stirbt, ist kein Erbe mehr da, sondern bloß noch ein König. Das bin dann auch ich. Wenn das eintritt, heirate ich und zeuge so lange Kinder, bis ein Sohn da ist. Du kannst mich also entweder heiraten und die reichste und mächtigste Frau auf tausend Meilen im Umkreis sein und allen Leuten zu Weihnachten Truthähne schenken und mir einen Sohn gebären, oder du musst sterben, unter furchtbaren Schmerzen und in allernächster Zukunft. Entscheide dich!« »Ich werde Euch nie lieben.« »Das würde ich auch nicht wollen, und wenn ich's haben könnte.« »Dann wollen wir also heiraten.« [...]

Schlagzeile

»Ich bin ein großer Märchenfan, aber das hat mich wirklich noch mal aus den Schuhen geholt. Es ist ein großer Spaß, das zu lesen.« Campino

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