Beschreibung
Schattenbanken und Kreditverbriefung haben die globale Finanzkrise ausgelöst. Dennoch fördert die Europäische Kommission mit dem nur wenige Jahre später aufgelegten Projekt einer Europäischen Kapitalmarktunion aktiv marktbasierte Finanzpraktiken. Marina Hübner zeigt, dass dies nicht etwa das Ergebnis erfolgreichen Lobbyings ist. Die Ursache der Rehabilitation dieser Finanzpraktiken liegt vielmehr in der unvollendeten Struktur der Europäischen Währungsunion. Reformen in der Governance-Architektur des Euro sind anfällig für Blockaden, sobald sie Umverteilung zwischen den Mitgliedsländern der Eurozone hervorzurufen drohen. Im Gegensatz zu neuen Formen fiskalischer Risiko- und Kostenverteilung versprechen Umverteilungen von Risiken über den Marktmechanismus einen konfliktarmen Lösungsweg.
Autorenportrait
Marina Hübner ist Postdoktorandin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.
Leseprobe
Vorwort Die Erinnerungen an die Schrecken der globalen Finanzkrise sind weitgehend verblasst. 'Kreditmüll', 'toxische Verbriefungen' und 'Schattenbanken' - Schlagworte, die damals in aller Munde waren, sind mittlerweile aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden. Der Schattenbankensektor läuft längst unter dem Stichwort marktbasiertes Finanzsystem. Und auch die politische Bewertung von Kreditverbriefungen hat sich gewandelt. Mehr noch: In der Europäischen Union steht mit der Kapitalmarktunion ein Projekt auf der politischen Agenda, dessen Ziel gerade darin besteht, den Anteil marktbasierter Finanzintermediation in Europa zu erhöhen. Wie lässt sich diese Entwicklung erklären? Als Doktorandin am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung hatte ich die Gelegenheit, dieser Frage in den Jahren zwischen 2014 und 2018 nachzugehen. Die Ergebnisse werden in dem vorliegenden Buch vorgestellt. Dass dieses Projekt einen guten Abschluss gefunden hat, verdanke ich vor allem Martin Höpner. Sein Vertrauen in meine Fähigkeiten, die kritische Auseinandersetzung mit meinen Ideen sowie seine vielen wertvollen Impulse waren für mich von unschätzbarem Wert. Ein besonderer Dank gilt auch meinem Zweitgutachter Matthias Thiemann, von dessen analytischem Verstand und enormen Finanzmarktwissen ich sehr profitieren konnte. André Kaiser stand dankenswerterweise als Drittgutachter zur Verfügung. Einen entscheidenden Anteil am Erfolg dieser Arbeit tragen Benjamin Braun und Fritz W. Scharpf. Beide haben mich in den letzten Jahren in vielerlei Hinsicht sehr unterstützt. Den zahlreichen Gesprächen mit ihnen verdanke ich viele wichtige Denkanstöße - ihr intellektueller Scharfsinn und ihre Neugierde beeindruckten mich dabei immer wieder aufs Neue. Auf Benjamin Braun geht die Idee zu dem Buchtitel zurück. Ich danke dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Jens Beckert, für die exzellenten Forschungsbedingungen, unter denen ich dieses Buch schreiben konnte. Die offene und integrative Arbeitsatmosphäre wie auch der hohe fachliche Anspruch machen das MPIfG zu einem einzigartigen Ort der Wissenschaft. Besonders habe ich von den regelmäßigen Diskussionen mit vielen meiner Kolleginnen und Kollegen profitiert: Fabio Bulfone, Matías Dewey, Donato Di Carlo, Lea Elsässer, Timur Ergen, Florian Fastenrath, Jiska Gojowczyk, Alexandra Hees, Annina Hering, Agnes Janssen, Sebastian Kohl, Alina Marktanner, Daniel Meyer, Daniel Monninger, Dennis Mwaura, Arjan Reurink, Daniel Seikel, Michael Schwan, Nico Sonntag und Lisa Suckert. Andreas Nölke danke ich für seine Bereitschaft, in einem frühen Projektstadium meine Ideen mit mir zu diskutieren. Mein Dank gilt auch allen Kolleginnen und Kollegen aus den Servicegruppen - Bibliothek, EDV, Haustechnik, Redaktion und Verwaltung - für ihre kompetente Unterstützung und Hilfsbereitschaft. Thomas Pott danke ich für die professionelle redaktionelle Bearbeitung des Manuskripts. Die empirische Tiefe qualitativer Forschung hängt nicht zuletzt von der Bereitschaft von Expertinnen und Experten aus der politischen Praxis ab, ihre Einsichten und Erfahrungen zu teilen. Ich bin deshalb allen Interviewpartnern, die sich die Zeit genommen haben, meine zahlreichen Fragen zu beantworten, zu großem Dank verpflichtet. Dass sich mir die gesellschaftliche Relevanz des Finanzmarktsektors überhaupt erschlossen hat, ist maßgeblich das Verdienst von Thomas Rixen. Widmen möchte ich dieses Buch meinen Eltern und Tobi, die mich in all den Jahren immer bedingungslos unterstützt haben. Köln, im August 2019 Marina Hübner Kapitel 1 Einleitung Der Euro muss das Gesicht und das Werkzeug der neuen europäischen Solidarität werden. Das erste, was wir dafür tun müssen, ist, unser Haus in Ordnung zu bringen, indem wir die Wirtschafts- und Währungsunion noch weiter vorantreiben.(Juncker 2018) Eine vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion als Unterpfand einer neuen Solidarität in Europa - dies ist der Arbeitsauftrag, den Jean-Claude Juncker in seiner letzten Rede zur Lage der EU als Kommissionspräsident im September 2018 seinem Nachfolger auf den Weg gibt. Er ist zugleich Eingeständnis, das seine 'Kommission der letzten Chance' (Juncker 2014c) dem selbst gesteckten Ziel einer weiterentwickelten Euro-Architektur auf der Grundlage von 'Verantwortung und Solidarität' (Europäische Kommission 2017b, 18) nicht gerecht werden konnte. Am Ende ihrer fünfjährigen Amtszeit hat die Juncker-Kommission auf dem Feld der Euro-Reformpolitik nur wenig vorzuweisen. Heraus ragt lediglich ein groß angelegtes Integrationsprojekt: die Europäische Kapitalmarktunion. Obgleich alle EU-Mitgliedsstaaten daran beteiligt werden sollen, handelt es sich bei der Europäischen Kapitalmarktunion im Kern um ein Projekt zur Stabilisierung der Europäischen Währungsunion, das jedoch nur schwerlich an den europäischen Solidaritätsgedanken anzuschließen vermag. Die Idee hierzu hatte Jean-Claude Juncker seit seiner Kandidatur um das Amt des Kommissionspräsidenten begleitet. In seiner am 15. Juli 2014 vor dem Europäischen Parlament gehaltenen Bewerbungsrede stellte er die Kapitalmarktunion als ein zentrales Element seiner Agenda für Arbeitsplätze, Wachstum, Gerechtigkeit und demokratischen Wandel erstmals vor (Juncker 2014b). Ein Jahr später präsentierte die Europäische Kommission in einem Aktionsplan zur Schaffung einer Europäischen Kapitalmarktunion ihre inhaltlichen Pläne in detaillierter Form. Darin finden sich über dreißig geplante Einzelmaßnahmen, die zur Schaffung eines 'echten Binnenmarkt[es] für Kapital' beitragen sollen. Integrierte europäische Finanzmärkte werden dabei vor allem als ein Mittel zu einem größeren Zweck gehandelt: Der Markt soll die Politik darin unterstützen, 'Wachstum [in Europa] zu finanzieren' und die Stabilität des Euroraums durch bessere Mechanismen der ökonomischen Schockabfederung zu erhöhen (Europäische Kommission 2015a, 3). Das Vorhaben, mithilfe der Regulierungspolitik Finanzmärkte in den Dienst von Wirtschaftswachstum und Währungsstabilität zu stellen, setzt an die Stelle einer europäischen Solidarität zwischen den Mitgliedsländern der Eurozone die Fiktion einer privaten Marktsolidarität. Der Markt soll Wohlstand und Zusammenhalt in Europa fördern und wird auf diese Weise von einem Problem zum Teil einer Lösungsstrategie umgedeutet. Denn tatsächlich fördert die EU mit der Europäischen Kapitalmarktunion Finanzinstrumente und Marktpraktiken, die noch wenige Jahre zuvor unter dem Eindruck der globalen Finanzkrise als wichtige Transmissionsriemen diskutiert worden waren, die eine anfänglich lokale Krise im US-amerikanischen Subprime-Hypothekenmarkt in ein weltweites Finanzmarktbeben übertragen halfen. Im Besonderen ist die Kreditverbriefung zu nennen, eine Finanzmarktinnovation, die auf dem Höhepunkt der Finanzkrise als 'toxisch' und 'Giftmüll' gebrandmarkt worden war (Ruhkamp 2008). Geschwundenes Anlegervertrauen und weitreichende regulatorische Auflagen hatten nach 2008 zu einem Einbruch des Marktvolumens in Europa geführt (BoE und EZB 2014). Im Rahmen der jüngsten Integrationsanstrengungen wird die Kreditverbriefung dagegen als ein wichtiges 'Risikotransferinstrument' gehandelt (Europäische Kommission 2015a, 24), deren Revitalisierung oberste Priorität beigemessen wird. Eine Lockerung der Regulierungsbestimmungen für dieses Marktsegment zählte folgerichtig zu einer der ersten Maßnahmen, die im Kontext der Kapitalmarktunion beschlossen werden sollten. Daneben befinden sich mit der Förderung von Kreditfonds, Crowdfunding und P2P-Lending Plattformen, Venture Capital Fonds und Business Angels - um nur einige wenige Beispiele zu nennen - eine Reihe weiterer Vorhaben in der Umsetzung, welche dem bankbasierten Finanzmarktmodell Kontinentaleuropas eine stärkere marktbasierte Ausrichtung geben. Es handelt sich dabei um eben jene Formen von Finanzbeziehungen, die im Epizentrum der Finanzkrise gestanden hatten und unter dem Label Schattenbankensystem bekannt geworden sind...