Beschreibung
Über die Ohnmacht der Kunst und den Sinn der Malerei Er ist einer der renommiertesten Maler in Deutschland und ein Maler, der über Kunst reflektiert. Seine Bilder waren in zahlreichen Ausstellungen zu sehen. In diesem schön ausgestatteten und reich illustrierten Band versammelt Klaus Fußmann seine essayistische Auseinandersetzung mit der Kunst, speziell mit der Malerei. Die gesammelten Texte Klaus Fußmanns.
Autorenportrait
Klaus Fußmann, geboren 1938 in Velbert/Rheinland, lebt und arbeitet in Berlin und Gelting (Schleswig-Holstein). Von 1968 an macht er sich mit verschiedenen Ausstellungen im In- und Ausland einen Namen. Größere Präsentationen seines Werkes folgen z. B. 198
Leseprobe
ZU GLAUBEN FÄLLT dem Westler schwer. Auch wenn er wollte, wäre es ihm nicht möglich. Das Christentum überzeugt nicht mehr, die Lehren geben keine überzeugende Antwort. Der Anteil der agnostischen Europäer wird größer, und es wirkt fast befremdend, wenn in einer Gesprächsrunde ein Diskutant sich als gläubiger Christ bezeichnet. Höflich geht man auf ihn ein, doch eigentlich wird ihm selbst sein Glaube nicht geglaubt. Der Glaube, einst die sieghafte Fanfare Luthers, ist dem Westler fremd geworden, Religion eignet sich nicht als Gesprächsstoff. Wenn das Thema aufkommt, sind die meisten gehemmt, und es ist ihnen unbehaglich dabei. Gott als Terminus ist tabu, kommt er dennoch ins Spiel, wird das Gespräch stockend und hilflos, eigentlich interessiert es niemanden. Selbst evangelische Geistliche versuchten vor einigen Jahren, sich von Christus zu lösen, sie bekannten öffentlich, an ihn als göttliche wie geschichtliche Figur nicht mehr zu glauben, erklärten aber, daß Religion auch ohne Gott, als Gemeinde, als eine ethische Gemeinschaft weiter existieren könne. Sie waren bereit, das Zentrum des Protestantismus aufzugeben - eine groteske Zumutung für Christen. Die katholische Kirche, erstarrt, geht auf die Forderungen der Zeit nicht ein, aber auch Amerika mit seinen vielfältigen Formen des Christentums hat es nicht besser. Sogenannte Apostel künden täglich im Fernsehen von ihrer Erweckung, wie Jesus ihnen erschien und sie in schwerer Bedrängnis, als sie den Revolver schon an die Schläfe hielten, vom Selbstmord abhielt: Lügen und Heuchelei, Attitüden ohne jede Wahrhaftigkeit. Die westliche Gesellschaft des dritten Jahrtausends nach Christi Geburt hat den wahren Glauben nicht mehr nötig, sie vermißt ihn offenbar nicht einmal. Den Menschen unserer Zeit umgeben viele Apparate, die ihn laufend beschäftigen und davon ablenken, über die letzten Dinge nachzusinnen. Er hat ein Auto, einen Fernseher, Handys, Zeitungen, Bücher, Schallplatten, Laptops, Computer, Bilder und so weiter. Er erfährt immer mehr über die verborgene Komplexität des Lebens, über die Geheimnisse der Materie und über das unendliche Weltall. Eine darauf gerichtete Vernunft herrscht in der westlichen Welt, zudem Toleranz und eben jener Pragmatismus, der dieses Leben vorantreibt. Ganz kann der moderne Mensch die Sorge um seine Sterblichkeit natürlich nicht vertreiben. Es stellt sich die Frage, was nach dem Tod aus ihm wird, und außerdem interessiert es ihn, wie sein weiteres Leben verlaufen wird, ob das Schicksal es gut mit ihm meint. Und so sickern wieder religiös gepolte Wünsche ein, wenigstens ein bißchen möchte man es wissen: Astrologie ist gefragt, die Sterne lügen nicht. Anspruchsvoller geben sich esoterische Zirkel mit geheimen Riten, seriös und fordernd dagegen meditative Übungen, die bis zum Buddhismus führen können; Breitenwirkung bleibt selbst dieser ernst zu nehmenden Religion im Westen versagt. Philosophie hat eine große Resonanz, die verkappte Gottsuche eines Heidegger oder Nietzsche entspricht eher dem Naturell des Westlers. Vor allem findet er an der Kunst Gefallen. In der Kunst, in ihren Allegorien, ihren Symbolen, Geschichten, Kompositionen und Klängen findet der Abendländer noch jenen Rest von Metaphysik, an die er glauben kann. Kunst als größte Phänomenologie, älter als seine ihm bekannte Geschichte und mit jedem Film, Buch und Bild weiter anwachsend, fasziniert ihn. Der westliche Mensch lebt mit und in der Kunst, und an sie glaubt er. Es ist ein ganz selbstverständlicher Glaube, der keinem hier mehr auffällt. Bilder umgeben den Westler ständig, Filme bedeuten ihm viel, sie vor allem gaukeln ihm eine Wirklichkeit vor, an die er glaubt, und so mancher lebt schon ganz in virtuellen Welten aus Internet, E-Mail, Fernsehen und Film. Kunst ist eine moderne Wirklichkeit geworden. Nur allmählich ist Kunst an die Stelle der Religion getreten. Als jene an Überzeugungskraft verlor, übernahm Kunst partiell die unbesetzten Felder. Angefangen hat alles mit den Bildern.