Beschreibung
Portugal nach fünfzig Jahren Diktatur: Rui S., missratener Sohn einer wohlhabenden Familie, findet keinen Platz für sich in diesem Land, weder bei den Reichen noch bei den Armen, weder bei den Intellektuellen noch bei den Kommunisten. Lobo Antunes bissiger und zugleich todtrauriger Roman erzählt mit verschiedenen Stimmen das Leben eines Gescheiterten, die Chronik eines Selbstmörders.
Autorenportrait
António Lobo Antunes wurde 1942 in Lissabon geboren. Er studierte Medizin, war während des Kolonialkrieges 27 Monate lang Militärarzt in Angola und arbeitete danach als Psychiater in einem Lissabonner Krankenhaus. Heute lebt er als Schriftsteller in seiner Heimatstadt. Lobo Antunes zählt zu den wichtigsten Autoren der europäischen Gegenwartsliteratur. In seinem Werk, das mittlerweile mehr als zwanzig Titel umfasst und in vierzig Sprachen übersetzt worden ist, setzt er sich intensiv und kritisch mit der portugiesischen Gesellschaft auseinander. Er erhielt zahlreiche Preise, darunter den 'Großen Romanpreis des Portugiesischen Schriftstellerverbandes', den 'Jerusalem-Preis für die Freiheit des Individuums in der Gesellschaft' und den Camões-Preis.
Leseprobe
Donnerstag Eines Tages werde ich hier am Strand angeschwemmt, von den Fischen zerfressen wie ein toter Wal - sagte er auf der Straße der Klinik zu mir und betrachtete dabei die verblichenen, trostlosen Gebäude von Campolide, die Serviettenmonogramme der erloschenen Leuchtreklamen, die glitzernden Reste von den Festtagen in den Schaufenstern, einen Hund, der an diesem Januarmorgen im Abfallhaufen eines abgerissenen Gebäudes herumschnüffelte: Schutt, Staub, Holzstücke, Scherben seelenloser Ziegel. Er kam zu Fuß von der Avenida der Straßenbahnen, sog mit dem neblig gierigen Appetit einer Möwe den Geruch der Obstkisten vor den Lebensmittelläden ein, wie damals als Kind auf dem Heimweg nach der Schule, er witterte den säuerlichen Duft der Drogerien oder den dunklen Schatten der Kneipen, dunkel wie geronnenes Blut, ein Blinder mit einem Glas in der Hand starrte ihm mit den aufgerissenen, unbeweglichen Augen eines Politikers auf einem Plakat hinterher, und er dachte, Sie bringen mich ins Krankenhaus, sie drücken die Klinke zum Windfang herunter (Lassen Sie nur, Lassen Sie nur, Lassen Sie nur), sie zwingen mich, in dem Raum voller Ledersessel mit großen gelben Polsternägeln zu warten (Sessel wie im Totenhaus, stelle ich fest), ein Tisch mit gedrehten Beinen, dazu Vorhänge, so gewichtig wie das Rülpsen eines Richters, und die unsichtbaren Besucher auf meiner Beerdigung flüstern bedeutungsvoll in den Ecken, während sie mit staubigen Dienstmädchen konferieren, die sich morgens wohl mit Federstaubwedeln reinigen, aus den Schubladen ihrer Bäuche alte Briefbündel hervorholen und Nähkästchen mit Intarsien. Das häßliche, magere Mädchen aus der Telefonzentrale hockte hinter der Theke der Medikamentenausgabe wie eine Eule in ihrer Höhle und malte verzückte Herzen auf einen Block: Sie war sicher schon zweimal hintereinander mit demselben kurzsichtigen Finanzbeamten im Kino gewesen, der zur Untermiete in einem billigen Zimmer im Viertel Penha de Franca wohnte und, vor einer leeren Kaffeetasse über ein Heft mit gezeichneten Figuren gebeugt (my garden, my uncle), in einem Fernkurs Englisch lernte. Ich gab den Namen meiner Mutter an, während das Mädchen mit hervorstehender Zungenspitze ein riesiges Herz anmalte, das so groß war wie die Schildchen auf den Scheuersandgläsern zur Zeit meiner Großmutter: Ein Bataillon grau uniformierter Dienstmädchen rieb energisch die Türklinken im unteren Stockwerk ab, Jetzt halt doch deine Hände still, Junge, sonst beschwere ich mich bei deinen Schwestern. Sie rochen nach Kernseife, nach ungebleichtem Zucker und Schwarzbrot, und abends kamen die Soldaten, ihre Vettern, die mit großen, klobigen Bauern- oder Schäferfingern an der Gartenpforte verstohlen ihre Brüste berührten. "Drittes Zimmer rechts", teilte die Eule mit und zeichnete gerade mit sehnsuchtsvollem Postkartenlächeln einen Cupido-Pfeil: Die Ohren des Finanzbeamten wurden sicher gerade feuerrot über einer plötzlich unerklärlichen Summe, und er ging durch eine Kaffeeküche, in der zwei Krankenschwestern an einen Schrank gelehnt wie ein Taubenpärchen an einem Ufersaum gurrten; die eine aß ein Stück Kuchen, um die Krümel aufzufangen über der hohlen Hand, und die Sonne ließ die gestärkten Kittel in glattem Kreideweiß leuchten. Ein Mann in mittlerem Alter ging an ihm vorbei und besah prüfend, neugierig und nachdenklich ein Glas Urin, das er in Augenhöhe hielt wie einen toten Skorpion. Der Krankenhausgeruch nach Spiritus, Angst und Hoffnung schwappte im Korridor auf und ab wie ein schläfriges Meer, auf dem das tonlose Stöhnen der Kranken dahinglitt und in den besorgten Seufzern der Familienmitglieder ertrank. Wenn ich an der Reihe bin, will ich hier niemanden: Mit den Augenbrauen will ich sie fortpeitschen, so daß ich sie nicht mehr sehe, daß ich ihre unerträgliche, reueknirschende Freundlichkeit, ihre übertriebene Fürsorge, die von ihrer eigenen Todesangst gelblich gefärbten Pupillen nicht sehe. Allein bleiben, die Nase zur Decke, mich langsam meiner selbst e