Beschreibung
Im Westerwald während des 30-jährigen Krieges: Die 13-jährige Johanna hat ihre gesamte Familie an die Pest verloren. Geblieben ist ihr nur ein unbekannter Onkel, der als Töpfer im Kannenbäckerland arbeitet. Damit sie in den Wirren des Krieges den weiten Weg überlebt, verkleidet ihre wohlmeinende Nachbarin sie als Jungen. Die neuen Freiheiten, die sie unterwegs genießt, erscheinen Johanna verlockend, genau wie die Aussicht auf eine Lehre im Töpferhandwerk. So verschweigt sie ihrem Onkel die Wahrheit und beweist in der Werkstatt bald nicht nur ein außergewöhnliches Talent, sondern auch eine einzigartige Leidenschaft. Doch kann sie ihre Täuschung in einer von Männern beherrschten Welt aufrechterhalten?
Autorenportrait
Annette Spratte lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in einem kleinen Dorf im Westerwald. Die Liebe zu Büchern begleitet sie in ihrem Leben schon länger als die Liebe zu Pferden, und Bücher waren es auch, die ihr den Weg zum Glauben gewiesen haben, als sie noch sehr weit von Gott entfernt war. Heute arbeitet sie als Autorin und Übersetzerin. Wenn sie gerade nicht am Computer sitzt, kann man sie im Garten oder im Pferdestall antreffen.
Leseprobe
Kapitel 1 Im Westerwald während des Dreißigjährigen Krieges. Der Gestank legte sich um Johanna wie eine riesige klebrige Hand. Mit jedem Huftritt des Pferdes rückten die drohend aufragenden Stadtmauern von Hachenburg etwas näher. Eine faulige Note von verrottendem Fleisch mischte sich mit dem beißenden Geruch von Fäkalien und Rauch. Unter der tief hängenden Wolkendecke schien sich nichts davon zu verziehen, sondern wie ein dichter Nebel über dem Boden zu wabern. Die Straße wurde von Zelten gesäumt, aus denen fremdartige Stimmen drangen. Das mussten die Soldaten sein, die in der Stadt untergebracht waren. Vor den Toren herrschte seltsam schweigsames Gedränge von Städtern, Soldaten und Bauern. Das Mädchen blickte kurz zu seinem Vater, der neben ihr saß und den Karren lenkte. Seine zitternden Hände hielten die Leinen so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß waren. Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. 'Geht es dir nicht gut, Vater?', fragte die Dreizehnjährige ängstlich. Sie bekam nicht mehr als ein Brummen zur Antwort, das alles bedeuten konnte. Der Karren holperte über einen Stein in der ausgefahrenen Rinne der Straße. Johanna sah sich zur Ladefläche um. Die in Stroh gepackten Leichen ihrer Mutter und Geschwister waren durch den plötzlichen Stoß durchgeschüttelt worden. Zwischen den grauen Halmen sah sie das blaue Auge ihrer nächstjüngeren Schwester reglos in den Himmel starren. Es schnürte ihr die Kehle zu und sie richtete ihren Blick schnell wieder nach vorn. Sie waren jetzt schon am Stadttor angekommen und bahnten sich einen Weg durch die Menge. Die Straßen waren glitschig, obwohl der Regen, der schon seit dem Morgen drohte, noch nicht eingesetzt hatte. Da aber die Rinnsteine bei der Menge an Menschen vor Abwässern überquollen, wunderte Johanna sich auch nicht mehr über den entsetzlichen Gestank. 'Warum sind hier so viele Leute?', wollte sie wissen. 'Die Menschen fliehen vor dem Krieg und der Pest hierher', erwiderte ihr Vater heiser. Die Pest. Überall starben die Menschen qualvoll an der Seuche. In ihrem Dorf gab es keine Familie, die nicht mindestens ein Opfer zu beklagen hatte. Einige Häuser waren jetzt leer. Johanna war als Erste erkrankt und ihre Mutter hatte sie liebevoll gepflegt. Nach ein paar Tagen hatte sie sich erholt, aber dann war ihre kleine Schwester Lina krank geworden und gleich danach ihre Brüder Friedrich und Karl. Und die Mutter selbst. Alle waren innerhalb von wenigen Tagen gestorben. Warum sie überlebt hatte, wusste Johanna nicht. Ihr Vater wollte die Familie ordentlich bestattet wissen und brachte sie deswegen in die Stadt. Seine gesamten Ersparnisse hatte er mitgenommen, um ein Begräbnis bezahlen zu können. Der Karren rumpelte eine schmale Gasse entlang und kam schließlich am Rande des Marktes zum Stehen. Der Vater übergab Johanna die Leinen und stieg vom Kutschbock, musste sich aber schnell festhalten, denn er schwankte in einem plötzlichen Anfall von Schwindel. Mit einem Kopfschütteln biss er die Zähne zusammen und ging leicht unsicher auf den Leichenbestatter zu, der hier seine Geschäfte abwickelte. Johanna sah, dass der Bestatter hart verhandelte, aber schließlich schienen sie sich geeinigt zu haben. Ihr Vater überreichte dem Mann einige Münzen, dann folgten ihm zwei schwarz gekleidete Leichenträger mit Handschuhen und Tüchern vor dem Gesicht. Sie zogen Johannas Familie einen nach dem anderen vom Karren und brachten sie zum Leichenkarren des Bestatters. Das Mädchen beobachtete das alles mit einer seltsamen Leere im Inneren. Die Tode waren so schnell aufeinander gefolgt, dass Johanna noch gar nicht fassen konnte, was geschehen war. Wie betäubt fühlte sie sich, als wäre ihr Herz in ihr eingeschlafen, so wie ihr manchmal die Füße einschliefen, wenn sie zu lange hockte. Ihr Vater brauchte mehrere Anläufe, um wieder auf den Karren zu steigen. Er schwitzte jetzt noch mehr und zitterte heftiger. Seine Brauen waren vor Schmerz zusammengezogen und Johanna meinte, an sei