Beschreibung
"Wenn wir begreifen wollen, wie das Land am Bodensee zu einem geistlichen Treffpunkt Europas wurde, müssen wir es nicht als das Ferienparadies betrachten, das heute vor uns liegt, sondern als die Wildnis, die vor 1400 Jahren den ersten Mönchen vorschwebte. Sie kamen von weit her, aus Irland und Frankreich, und was sie suchten, war keine Heimat, sondern ein Exil, in dem sie mit Gott und ihrer Seele allein sein könnten. Hier fanden sie einen unheimlichen See; über ihm Stürme und Nebel, in seiner Tiefe Wasserteufel. Und sie fanden einen Urwald ohne Wege, in den Ebenen Bären und Schlangen, auf den Bergen Wetterhexen. Hier bauten die Mönche seit dem siebten Jahrhundert Einsiedeleien. Allmählich rodeten sie den Urwald, betrieben Ackerbau und Viehzucht, züchteten sogar Heilkräuter und Rassepferde. Die Benediktiner zogen alemannische Bauern an, die von ihnen Glaubensernst und Arbeitseifer lernten. Der Bodensee selbst wurde zur Brücke zwischen den Menschen. Gemeinsam bändigten sie die materielle Not und schufen geistig geprägte Siedlungen; da gediehen das Totengedenken und der Geist von Kunst und Wissenschaft." (Arno Borst)
Autorenportrait
Arno Borst (1925-2007) war neben Huizinga, Marc Bloch und Duby einer der wirkungsmächtigsten europäischen Historiker des 20. Jahrhunderts. Der gebürtige Franke studierte in Göttingen und München, habilitierte sich in Münster und wurde nach einer ersten Professur in Erlangen 1968 an die neu gegründete Reformuniversität Konstanz berufen. Seine öffentlichen Vorlesungen über Mittelalter, Mönche und Klöster am Bodensee waren ein Pub- likumsmagnet: weil ein überragender Sachkenner anschaulich und fesselnd erzählte. Arno Borst gelang ein wohl einmaliger Erfolg: Mit Büchern wie 'Lebensformen im Mittelalter' (dt. Auflage weit über 100 000) und 'Computus. Zeit und Zahl in der Geschichte Europas' (übersetzt ins Englische, Italienische und Türkische) interessierte er ein breites Lesepublikum für geschicht- liches Denken. Mit historischen Einzelstudien ('Die Katharer', 'Der Turmbau zu Babel') errang er die höchsten Auszeichnungen seines Fachs. Zugleich wurde seine Sprachkraft weit jenseits der Mediävistik ausgezeichnet (Sigmund-Freud- Preis für wissenschaftliche Prosa, Brüder-Grimm-Preis, Bodensee-Literaturpreis). Als ihm 1996 der 'Nobelpreis für Historiker', der internationale Balzan-Preis, überreicht wurde, investierte er große Teile des Preisgeldes in die 'Arno-Borst-Stiftung zur Förderung der mediävisti- schen Geschichtswissenschaften'.