Beschreibung
Die labyrinthische Stadt Triest und ihre Eigenheiten, nicht zuletzt ihre spezifische Lage am Meer, prägen den Roman und dessen Geschehen in entscheidender Weise. Wir begegnen einem älteren Herrn, Alfred Klei, und der jungen Schriftstellerin Eva Täu, die hier hofft, ihre Schreibhemmung zu überwinden und Inspiration zu tanken. Dies geschieht auch tatsächlich, und der rasant entstehende Text der Krimiautorin findet sich als eingefügte Binnen-erzählung, gleichsam als spannende Fortsetzungsgeschichte, innerhalb der Rahmenerzählung, eingebettet in die für Schmidt typischen Dialoge zwischen den beiden Protagonisten. Diese schrauben sich in lichteste Höhen der philosophischen Spekulation über eine Unzahl unterschiedlichster Themen, angeregt von den Dichtergestalten und -statuen der Hafenstadt, vom "kaum gelesenen, dafür umso mythischeren James Joyce" bis hin zum liebenswürdig-verschrobenen Italo Svevo. Glänzend beschrieben die Topographie und Architektur der Stadt, nicht zuletzt auch inspiriert von den unterschiedlichen Stimmungen und Farben des Meeres und seiner Horizonte, die in meisterlich reflexiver Schilderung den Text im steten Rhythmus pointieren.
Autorenportrait
Alfred Paul Schmidt, 1941 in Wien geboren, lebt in Graz. Neben zahlreichen Prosawerken verfasste er unter anderem Theaterstücke, Hörspiele und seit 1986 Drehbücher für ORF-Krimi-Serien wie "Tatort", "Stockinger" oder "Soko Kitzbühel". Viele Preise, u. a. den Fernsehpreis der österreichischen Volksbildung für das Drehbuch zur Romanverfilmung von "Die Wasserfälle von Slunj" von Heimito von Doderer.
Leseprobe
Am Boulevard der Rive angekommen, sagte Eva, beide betrachteten nochmals die Menge, die sich auf der Mole befand, sie habe in einem Reiseführer gelesen, der tägliche Spaziergang zum Molo Audace, vornehmlich gegen Abend, gehöre zu den Gewohnheiten vieler Triestiner, unter denen das Wort gilt, ein Tag, ohne dem Meer einen Besuch abgestattet zu haben, sei ein verlorener Tag. "Ein durchaus einleuchtendes Motiv. Denkt man das Motiv etwas weiter, ist der Gedanke nicht abwegig, dass sich den Besuchern beim Anblick des Meeres die Vorstellung aufdrängt, man befinde sich mutterseelenallein auf dem Meer, ausgesetzt auf einem schwankenden Kahn, umgeben von nichts als einer uferlosen Wasserwüste. Diese ausweglose Situation ist das Urbild unseres Schmerzes, dass man ein Einzelner, ein Individuum ist, ein Schrecken, tief in uns, von dem uns keine Glückseligkeit der Gemeinschaft jemals ganz befreien kann."