Beschreibung
Mitten im Zentrum der angolanischen Hauptstadt Luanda steht das Maianga-Gebäude, ein heruntergekommenes Hochhaus, an einem riesigen Loch in der Außenwand zu erkennen. Im ersten Stock strömt pausenlos frisches Wasser aus maroden Leitungen. Es ist ein Ort der Magie, Treffpunkt der Hausbewohner, Straßenhändlerinnen, Journalisten, Tagediebe. Auf dem Dach wird ein illegales Kino betrieben, das bisweilen ganz ohne Leinwand auskommt. Korrupte Beamte, ein Hahn namens Camões und ein Briefträger, der seine Briefe meist selber schreibt, gehen ein und aus, sogar ein leibhaftiger Minister taucht plötzlich auf - rein privat selbstverständlich. Im Untergrund von Luanda wird derweil nach Erdöl gebohrt, Gerüchte um eine ominöse Erschließungsgesellschaft machen die Runde, Politiker wittern das große Geld, während Angola sich auf eine weltweit beachtete Sonnenfinsternis vorbereitet, die in letzter Sekunde von der Regierung schlicht abgesagt wird. Dann überschlagen sich die Ereignisse, und Luanda brennt. Die Durchsichtigen ist eine poetische Satire auf das postkoloniale, postsozialistische, real existierende Angola, eine augenzwinkernde Liebeserklärung an die Bewohner Luandas.
Autorenportrait
Ondjaki, geboren 1977 in Luanda, Angola, ist Autor zahlreicher Romane, Lyrikbände und Kinder- und Jugendbücher. Sein Werk wurde bereits in mehrere Sprachen übersetzt und mit Literaturpreisen ausgezeichnet, darunter der angesehene Jabuti-Preis und der Saramago-Preis für den vorliegenden Roman. Für das Africa39-Projekt wurde Ondjaki unter die herausragenden 39 afrikanischen Schriftsteller unter 40 Jahren gewählt. Die Durchsichtigen ist nach Bom dia camaradas der zweite ins Deutsche übersetzte Roman des Autors. Ondjaki lebt heute in Rio de Janeiro. Michael Kegler, geboren 1967 in Gießen, ist Übersetzer portugiesischsprachiger Literatur, unter anderem von José Eduardo Agualusa (Angola), Paulina Chiziane (Mosambik) und Luiz Ruffato (Brasilien). 2014 erhielt er gemeinsam mit Marianne Gareis den Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW.
Leseprobe
Leseprobe Ondjaki: Die Durchsichtigen das Haus hatte sieben Stockwerke und atmete wie ein lebendiges Wesen man musste um seine Geheimnisse wissen, die nützlichen und die unangenehmen Eigenschaften der Zugluft, die Funktion seiner uralten Rohre, der Stufen und der ins Nirgendwo führende Türen. Einbrecher hatten bereits am eigenen Leib die Erfahrung, wozu dieses verzwickte Labyrinth wirklich im Stande war mit seinem untereinander verbundenen, selbstständig handelnden Passagen, und selbst die Bewohner hatten großen Respekt vor jeder Ecke, jeder Wand und jedem Treppenabsatz im ersten Stock nahmen geborstene Rohre und eine unglaubliche Dunkelheit versehentlich Hineingeratenen wie Eindringlingen jeden Mut Wasser im Überfluss und zur vielfältigen Verwendung ging von dort in das gesamte Gebäude, eimerweise gehandelt auch für das Waschen von Wäsche und Autos, OmaKunjikise war eine der wenigen, die das überschwemmte Gebiet trockenen Fußes durchquerte und noch nie ins Rutschen geraten war das ist ein Fluss , sagte sie stets auf Umbundu nur Fische fehlen noch und Krokodile die Alte war wenige Tage nach dem Tod von Xilisbabas tatsächlicher Mutter nach Luanda gekommen und, den Hunger nicht mehr ertragend, auf deren Trauerfeier erschienen, hatte dort unter Tränen die Dringlichkeit ihres Bedürfnisses dargelegt, sich für ihr Eindringen entschuldigt und in tiefstem Umbundu, dabei Xilisbaba tief in die Augen schauend, gesagt ich kann für den Tod beten, wer auch immer gestorben ist. meine Stimme reicht bis auf die andere Seite. Xilisbaba, die schon das Leben von seiner allzu wirklichen Seite zu lesen imstande war, hatte die Alte mit einem Glas Rotwein begrüßt, ihr ihren Platz überlassen und einen Teller mit Essen kommen lassen, dem besten Calulú der Beerdigungsfeier, und ausdrücklich gesagt, dass man ihr kein Mischmasch als Funji servieren solle, weil die Dame wie sie sei und gutes Maismehl benötige, um den Irrsinn und den Rhythmus Luandas ertragen könne deine Mutter lacht hatte die Alte gesagt meine Mutter, bist du jetzt hatte Xilisbaba geantwortet. während der Trauerfeier und nachdem alle Rechnungen für das der alten Dame zu Ehren gereichte Essen und Trinken beglichen waren, war Odonato weit über die Grenzen des üblichen Elends hinaus abgemagert Xilisbaba fiel auf, dass ihr Mann stiller geworden war, sich noch mit den Kindern unterhielt, mit den Nachbarn Belangloses austauschte, sich um Arbeit bemühte und an den Batterien im Radio herumdrehte, die keinen Strom mehr liefern wollten, obwohl er sie in die Sonne gelegt hatte, doch seine Bewegungen, wenn er durch den Morgen spazierte, sich am Kopf kratzte, wenn er die auf der Straße gefundene Zeitung las, sich ankleidete oder sich streckte, all diese Bewegungen machten schon gar kein Geräusch mehr und der Frau wurde klar, dass es ihr Mann war, der eigentlich trauerte, in ihrem Blick war er fern, doch Xilisbaba sah ihn immer noch jung, träumerisch, draufgängerisch mit den Händen und mit dem Mund zu der Zeit, als er sie überrascht hatte im überfluteten ersten Stock, sie mit Obst hochgekommen war, er das Obst an ihrem Leib zerdrückt und sie gelacht hatte angesichts der erwarteten Überraschung am späten Nachmittag Odonato bewegte nicht mehr als die Finger, die Finger seiner rechten Hand streichelten den Ring an der Linken, Xilisbaba sah Odonato den Ring vom Finger nehmen und in seiner Tasche verstauen, der Durchmesser seiner Hand reichte schon nicht mehr für den Ehering sie seufzte tief Sauerstoffmoleküle fluteten in ihr Herz, dann die Venen und ihren Kopf, neue Energie reiste bis in die äußersten Enden ihres Körpers, doch das Phänomen hatte bereits seinen Lauf genommen das Verborgene ist wie ein Gedicht - es kann jeden Moment erschienen.