Beschreibung
Jeder benutzt psychologische Fachbegriffe hier werden sie einfach und verständlich erklärt Wer sich mit Hilfe eines psychologischen Fachbuchs informieren möchte, hat oft ein Problem: Komplizierte Sachverhalte und Fachbegriffe machen das Verstehen nahezu unmöglich. Der renomierte Psychotherapeut Wolfgang Schmidbauer wählt in diesem Kompendium einen anderen Weg. Er erklärt emotional aufgeladene Begriffe des Alltags von Abhängigkeit bis Zusammenleben in kurzen Beiträgen mit seiner Küchenpsychologie so, dass jeder sie verstehen und nutzen kann.
Autorenportrait
Wolfgang Schmidbauer, geboren 1941, Dr. phil., studierte Psychologie und promovierte 1968 über "Mythos und Psychologie". Er lebte dann einige Jahre als Autor in Italien. 1972 gründete er mit Kollegen ein Institut für analytische Gruppendynamik und wenig später die Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse. 1977 prägte er in dem Bestseller "Die hilflosen Helfer" den Begriff des Helfer-Syndroms. Heute arbeitet Wolfgang Schmidbauer als Autor und Psychoanalytiker mit eigener Praxis in München.
Leseprobe
Jede Wissenschaft hat einen Haupteingang und eine Hintertreppe. Wer viel Zeit und die richtigen Zeugnisse hat, kann den Haupteingang benutzen; alle anderen tun sich schwer, am Portier vorbeizukommen und einen Platz zu finden, an dem sie sich wohlfühlen. Wenn sie aber nicht ganz darauf verzichten wollen, sich selbst und andere Menschen besser zu verstehen und sich die eine oder andere Hilfe zu holen, schlage ich die Hintertreppe vor. Sie führt direkt in die Küche, und oft sind Abende in der Küche besonders gemütlich, in denen der Gast nicht das perfekt zubereitete Mahl genießen soll, sondern zusammen mit dem Gastgeber improvisiert, bis beide das Menu fertiggestellt haben, das ihnen am meisten zusagt. So verwende ich auch in Therapien manchmal die Floskel: 'Meine Küchenpsychologie würde jetzt nahelegen. oder 'Gemäß meiner Hintertreppenpsychologie. um einer Deutung sozusagen das bescheidene Kleid anzulegen, das sie meines Erachtens tragen sollte, um dem Gesprächspartner nichts vorzugeben, sondern ihn als Kooperationspartner zu gewinnen. Um etwas von dieser Hintertreppenpsychologie festzuhalten, habe ich in den letzten zehn Jahren während meiner Ferien versucht, emotional aufgeladene Begriffe des Alltags aus diesem Blickwinkel zu betrachten. Ich schrieb diese Betrachtungen in eines jener schwarzen Hefte 'Made in China' mit roten Ecken und habe sie hier gesammelt. Kein Analytiker, der seine Methode ernst nimmt, hat reale Aussichten auf den Nimbus des rechten, des allein selig machenden Glaubens. Er wird sich immer eher auf die Seite der Unterdrückten als auf die Seite der Mächtigen schlagen. So hätte, als die SED in der DDR noch mächtig war, kein Psychoanalytiker die Chance erhalten, im 'Neuen Deutschland' eine Kolumne zu schreiben. Aber als die mächtige SED zur verfemten PDS wurde und das 'Neue Deutschland' mehr schlecht als recht überlebte, fragte mich Christine Matte, eine der Kämpferinnen für dieses Überleben, ob ich nicht eine solche Kolumne schreiben wolle. Ich war einverstanden und habe es nicht bereut, diese Hintertreppe in die Medienwelt zu benutzen. Das Interesse der Leser und der Redaktion hat mich ermutigt, aktuellen Problemen eine psychologische Seite abzugewinnen und so Zugangswege zu erschließen. Wenn also einem regelmäßigen Leser des 'Neuen Deutschland' manches vertraut erscheint, was er auf der Hintertreppe findet, ist das kein Zufall. Wolfgang Schmidbauer Abhängigkeit Viele Organismen sind voneinander abhängig. Dieser Begriff beschreibt das Wesen des Sozialen. Geschlechtliche Fortpflanzung bindet den einen an die andere; ohne die das Geschäft scheitern muss. Radikal unabhängig sind nur die Einzeller, die sich ohne Einwirken Dritter teilen und damit vermehren können. In mehrzelligen Organismen können die einzelnen Bestandteile in der Regel nur zum Schaden aller voneinander getrennt werden. Psychologisch interessant und typisch menschlich scheint die Angst vor Abhängigkeit. Gar nicht selten äußern Menschen den Wunsch, eine Beziehung zu beenden, weil sie sonst fürchten müssten, abhängig zu werden. Andere kappen Bindungen, ohne sich dieser Angst überhaupt bewusst zu sein. Sie tun es einfach und beklagen nachher ihre Einsamkeit. Dieses Verhalten signalisiert ein nicht überwundenes Trauma durch einen Verlust. Gesunde Kinder kennen diese Angst nicht, sie eilen zur Mutter, lassen sich mit allem Notwendigen versorgen. Sie laufen von der Mutter fort, wenn sie sich von ihr zu sehr gehemmt fühlen, suchen ihre Nähe, wenn sie sich zu fern erleben. Das traumatisierte Kind weist bald alle zärtlichen Bemühungen der Mutter zurück, bald will es sie nicht mehr loslassen und fürchtet jede Trennung. Schmerzliche Abhängigkeit ist mit der Phantasie von Einseitigkeit verbunden. Wir haben keine Kontrolle über den anderen, fühlen uns ihm aber auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Das Urbild ist der Säugling, der vergebens nach der Mutter schreit, weil sie entweder nicht kommt oder zwar kommt, ihm aber verweigert,