Beschreibung
Das vorliegende "Evangelienbuch", die Erzählung vom Leben Christi entsprechend der neutestamentlichen Überlieferung, ist das erste Zeugnis volkssprachlicher Bibeldichtung im deutschsprachigen Raum. Otfrid, Mönch und Priester im elsässischen Kloster Weißenburg, hat er wohl im dritten Viertel des 9. Jahrhunderts verfaßt. Das Werk wurde einer noch ungelenken, grammatikalisch ungeregelten und orthographisch nicht normierten (nur mündlich gebrauchten) Sprache abgerungen und steht damit am Beginn der deutschen Literaturgeschichte.
Autorenportrait
Otfrid von Weißenburg, um 800 - um 870 Weißenburg (Elsass). Um 830 ist O. zuerst als Mönch in Weißenburg nachweisbar. Nach anschließenden Studien bei Hrabanus Maurus in Fulda kehrte er spätestens um 845 wieder nach Weißenburg zurück. Von da an sind Weißenburger Kodizes von seiner Hand überliefert. Sein ahd. Liber evangeliorum oder Evangelienbuch wurde, wie sich aus den Regierungszeiten der Adressaten (u. a. König Ludwig der Deutsche und der Erzbischof von Mainz) ergibt, zwischen 863 und 871 abgeschlossen. Das in den Vorreden erläuterte Konzept O.s besteht darin, geistliche Literatur in ästhetisch anspruchsvoller Form in fränkischer Sprache zu schaffen, so dass die Franken nicht als einzige davon ausgeschlossen sind, wenn in der Muttersprache Christi Lob gesungen wird. O. gliedert die aus den vier Evangelien kompilierte Lebensgeschichte Christi in fünf Bücher; dabei unterbrechen exegetische Kapitel den Erzähl?uss und deuten den Text nach der Methode des mehrfachen Schriftsinns. Der Aufbau des Werkes im Ganzen zeigt O.s Streben nach Proportion und Symmetrie; zugleich setzte sich mit dem Evangelienbuch (7104 Reimpaare) der Endreimvers in der deutschen Dichtung durch. In: Reclams Lexikon der deutschsprachigen Autoren. Von Volker Meid. 2., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart: Reclam, 2006. (UB 17664.) - © 2001, 2006 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart.